Sonntag, 4. November 2007

Königtum seit dem Investiturstreit (Teil 2)

Die durch das Eingreifen Gregors VII. bekräftigte Dominanz des Wahlprinzips hat sich bis 1438 und darüberhinaus als stabil erwiesen, obwohl es mehrfach Versuche gab, es in Frage zu stellen. Der Erbreichsplan Heinrichs VI., der den Vasallen ein unbeschränktes Erbrecht an den Reichslehen eingeräumt hatte, ist im Zusammenhang mit der gesamten Herrschaftssphäre der Staufer zu sehen, die über Burgund und Italien bis nach Sizilien reichte und bis nach Ost-Rom und ins Heilige Land auszugreifen schien. Die Verwirklichung dieses Plans hätte folglich nicht zu einer der französisch vergleichbaren Entwicklung führen müssen. Anders verhält es sich mit dem von Tolomeo von Lucca bezeugten Erbreichsplan zur Zeit Rudolfs von Habsburg. Die im Einvernehmen mit dem Papst beabsichtigte Aufteilung des Imperiums in ein deutsches regnum sowie ein burgundisches und zwei italienische Reiche hätte dem römisch-deutsches Königtum den Anspruch auf eine universale Geltung genommen und es auch ideell auf den Rang der anderen regna gestellt, so wie Gregor VII. das beabsichtigt hatte. Der Plan ist aber gescheitert, und zwar nicht nur am Widerstand der Kurfürsten. Daß Rudolf von Habsburg und seine beiden Nachfolger aus unterschiedl. Gründen darauf verzichtet haben, sich in Rom krönen zu lassen, hatte allerdings zur Folge, daß der Anspruch der römischen Kaiser auf das Kaisertum in Zweifel gezogen wurde. Romzug und Kaiserkrönung Heinrichs VII. können als eine kaum noch für möglich gehaltene Renovatio des Kaisertums gewertet werden. Mit Ausnahme Wenzels und Albrechts II. haben alle folgenden Könige versucht, sich zum Kaiser krönen zu lassen; mit Ausnahme Ruprechts haben alle Erfolg dabei gehabt.

Die materielle Basis des röm.-dt. Kgtm.s, das Reichsgut und die Nutzung der Regalien, ist durch die Dominanz des Wahlprinzips allmählich beeinträchtigt, im Verlauf des 14. Jahrhunderts fast aufgezehrt worden. Lothar III. hat sein Königtum noch nahezu im gesamten deutschen Teil des Reiches durchsetzen können, danach ließ die Rivalität zwischen Staufern und Welfen die Machtbasis des Königtums schrumpfen. Heinrich der Löwe verfügte über nahezu die Hälfte der deutschen Gebiete. Das Ergebnis von Heinrichs Sturz (1180) und der Doppelwahl von 1198 war die Etablierung eines nach unter abgeschlossenen Fürstenstandes und der Beginn des Ausbaus von Landesherrschaft unterhalb der Ebene des Königtums Friedrich II. hat diese Entwicklung mit den Fürstengesetzen von 1220/32 sanktioniert. Die Periode von der Absetzung Friedrichs II. (1245) bis zur Wahl Rudolfs von Habsburg (1273) ist von den Zeitgenossen als Zeit der Reichsvakanz, als Interregnum, empfunden und bezeichnet worden. Die Restitution des Königtums unter Rudolf I. fand ihre Grenzen an den Interessen des sich vollendenden Gremiums der Kurfürsten, die mit den Wahlen von 1292, 1308 und 1314 für merkliche Kontinuitätsbrüche sorgten. Dementsprechend ist es weder Rudolf noch seinen Nachfolgern gelungen, die zentralen und regionalen Behörden des römisch deutschen Königtums zu wirklichen effektiven Organen zu entwickeln. Wichtigste Institution blieb die (Reichs-)Hofkanzlei. Die auf der Basis älterer Institutionen unter Rudolf I. eingerichteten Reichslandvogteien haben bis in die Zeit Karls IV. eine beachtliche Bedeutung gehabt, sind dann aber wegen der Preisgabe des Reichsgutes durchweg zu leeren Titeln herabgesunken. Im Bereich von Währung und Münzprägung konnte das Königtum allenfalls regulierend, nicht aber maßgeblich wirksam werden. Als Prärogative des Königtums verblieben: die Lehnshoheit über die Fürsten, die Landfriedenshoheit sowie die Erteilung von Privilegien, deren Durchsetzung indes den Begünstigten vorbehalten war.

Die vier inmitten des Reichsgutes ansässigen Kurfürsten aus dem fränkischen Raum haben, zunächst planlos, seit 1308 bewußt, das Königtum aus ihrem Einflußbereich zu verdrängen versucht. Unter Rudolf I. galt es noch als selbstverständlich, daß der König seine Herrschaft auf das Reichsgut, nicht also auf die Hausmacht stützen solle. Erst seit Karl IV. kann man von einem wirkliche Hausmachtkönigtum sprechen. Er hat das verbliebene ländliches Reichsgut aufgegeben. Das Scheitern von Ruprechts Königtum kann als Konsequenz dieser Politik gewertet werden. Sigmund verfügte seit 1415 in deutschen Landen über keinen Fußbreit eigenen Bodens. Die Hausmacht Albrechts II. und Friedrichs III. befand sich in einer südöstlichen Randzone. Die um 1414 einsetzende Reformdiskussion plädierte durchweg für eine Stärkung der Monarchie auf Kosten vor allem der geistlichen Fürsten und für ein Zusammengehen des Kaisers mit Städten und ritterlichen Adel. Erst die Übernahme des burgundischen Erbes westliche der rheinischen Kurfürstentümer durch Maximilian schuf die Basis, von der aus Königtum und Kaisertum ohne eigene Hausmacht im Inneren Deutschlands existenzfähig erhalten werden konnten. Die Reform von 1495 ließ das Reich zu einem zwischen dem Hause Österreich-Burgund und den großen Territorialmächten ausbalancierten Herrschaftssystem werden.

Gregors VII. Angriff auf den theokratischer Status des römisch-deutschen Königtums führte 1122 (Wormser Konkordat) zu einem Teilerfolg: Ring und Stab wurden bei der Investitur der Bischöfe nicht mehr von Kaiser oder König übergeben. In der Folge hat man versucht, Kaiser, König und Reich eine Heiligkeit sui generis zuzuschreiben, so mit dem Epitheton Sacrum (imperium) oder der Heiligsprechung Karls des Großen. Karl IV. kreierte 1347 den königlichen Weihnachtsdienst, die Lesung der Worte: »Exiit edictum a Caesare Augusto«. Die seit Konrad II. übliche Beisetzung der Herrscher in Speyer wurde mit Lothar III. unterbrochen, von Rudolf I. zwar noch einmal aufgegriffen, aber nach der Bestattung Adolfs und Albrechts I. eingestellt. Anstelle einer St-Denis vergleichbaren zentralen Grablege avancierten Frankfurt (Wahl, Altarsetzung) und Aachen (Thronbesteigung) zu Weihestätten des Königtums; andere Städte wurden bevorzugt als Versammlungsorte von Hof- und Reichstagen gewählt, so Nürnberg (hier auch Aufbewahrung der Reichsklein- odien), Speyer, Worms oder Regensburg.

H. Thomas (LEXMA5 1306-1309)

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